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Johannes Voigtmann im Interview: Um eine Medaille gewinnen zu können wird es auf viele Faktoren ankommen

 

 

 

 

 

 

Während ein picke packe voller Länderspiel-Sommer vor ihm liegt, pendelt Nationalmannschafts-Center Johannes Voigtmann derzeit häufiger zwischen Eisenach und der Trainingshalle von Medipolis SC Jena in Burgau als gewünscht oder geplant. Anfang März von seinem Ex-Club ZSKA Moskau aus gleichermaßen bekannten wie nachvollziehbaren Gründen in die Heimat zurückgekehrt, bereitet sich der 29-jährige Thüringer aktuell auf die kommenden Aufgaben mit seinen deutschen Adlern vor, unterbrach die individuellen Einheiten zuletzt nur kurz für die beiden WM-Qualifikationsspiele, die Deutschlands Nationalmannschaft in Estland (30.06.2022, Tallinn – 88:57) und gegen Polen (03.07.2022, Bremen – 93:83) gewinnen konnte.

Nach dem Supercup in Hamburg (19./20.08.2022, BARCLAYS Arena - mit Serbien, Italien, Tschechien, Deutschland) sowie zwei weiteren WM-Qualifikationsspielen (25.08. in Schweden, 28.08. in München vs. Slowenien) wartet bis zum großen Highlight, der Heim-Europameisterschaft (01. bis 18. September in Köln und Berlin), noch ein gut sortiertes Programm auf den 2.11m großen Auswahl-Hünen. Wir nutzten die Gelegenheit vor Ort, um uns mit dem ehemaligen Jenaer Sportgymnasiasten zu unterhalten.

Johannes, wie geht’s Dir und deiner Familie gerade ganz allgemein?

Uns geht es soweit sehr gut. Alle sind gesund und das ist das wichtigste. Wir sind zu Hause in Eisenach, haben uns gut wieder eingelebt, auch wenn es wohl sicher nicht auf Dauer sein wird.

Du bist Anfang März aus Moskau nach Deutschland zurückgekehrt. Wie hat sich seitdem dein Alltag verändert und entwickelt?

Das lässt sich vielleicht ein wenig mit der Zeit vor zwei Jahren vergleichen als Corona und Lockdowns schon einen großen Einfluss auf deine alltägliche Routine genommen hatten. Ich habe, genau wie damals, weiterhin trainiert, war im Kraftraum, habe auf dem Rad gesessen oder an meiner Ausdauer gearbeitet. Im Gegensatz zu 2020 war und ist es allerdings immerhin möglich, etwas mehr zu unternehmen. Ich konnte Georg besuchen und mir Spiele anschauen, habe in Wolmirstedt seinen Aufstieg miterlebt. Das waren Dinge, die schon ganz cool waren, weil es sonst nie gepasst hat. Wir haben uns die Zeit genommen, mit der Familie in den Urlaub zu fahren, was ja auch schon länger nicht mehr der Fall war. Im Anschluss daran haben wir noch ein paar Freunde besucht. Das war eine sehr schöne Phase nach der schwierigen Zeit, vor allem um den Kopf freizubekommen. Seit ungefähr zwei Monaten bin ich wieder dabei, intensiver zu trainieren. Insofern ist der Alltag etwas anders als in einer normalen Saison, aber wir haben uns eingependelt.

Welche Erfahrungen konntest Du aus Moskau mitnehmen?

Da gibt es mehrere. Ich habe bei einem europäischen Top-Club gespielt, in einem Verein, der eine lange Tradition besitzt, regelmäßig im EuroLeague Final Four zu finden war, dessen Kultur komplett aufs Gewinnen ausgelegt ist und bei dem man aufgrund seiner Ambitionen und Ziele permanent unter Druck steht. Das macht schon etwas mit dir, denn du musst Lösungen finden, um mit diesem Druck und der Anspruchshaltung klarzukommen. Zudem ist es eine echte Herausforderung, die sportlichen Erfolge nicht als Normalität oder Gewohnheit anzunehmen. Du musst einen Weg finden, Siege genauso zu feiern, wie dich Niederlage ärgern, um hungrig zu bleiben. Natürlich wollte ich vorher schon immer jedes Spiel gewinnen, nehme aber das in Richtung Perfektion für den Erfolg ausgeprägte Mindset auf jeden Fall mit. Diese Einstellung, die im Verein herrscht, nicht von außen auferlegt wurde, war schon sehr beeindruckend.

Belasten die ganzen Begleitumstände einen Sportler und wie kann man so eine Situation ggf. mental ausblenden?

Gedanken und Sorgen lassen sich nicht einfach auf Knopfdruck abstellen. Uns hat es natürlich schon mitgenommen, was da alles innerhalb kürzester Zeit passiert ist. Solang eine gewisse Unklarheit herrscht, beschäftigst Du dich ganz automatisch immer wieder damit. Da musst du versuchen, Zeiten zu finden, um auf andere Gedanken zu kommen. Fernseher abstellen, versuchen Abstand zu gewinnen.

Macht man sich Gedanken, hat man Zukunftsangst wie es weitergeht oder warst Du dir sicher, dass sich sportlich alles irgendwie finden wird?

Zukunftsangst ist sicher ein zu großes Wort. Ungewissheit trifft es sicher eher und die ist nicht schön. Es geht ja irgendwie immer weiter. Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass am Ende gut wird.

Du bist bekanntermaßen Fan von Dynamo Dresden. Wie hast du die letzte Saison der Mannschaft erlebt?

Darüber möchte ich eigentlich besser nicht reden (lacht). Aber im ernst, gerade die zweite Saisonhälfte war schon richtig bitter. Immerhin konnte ich mal wieder live im Stadion dabei sein. Ein Besuch zum Relegationsspiel vor Ort hat zwar nicht geklappt, gesehen habe ich es natürlich trotzdem. Ich glaube, dass 'bitter' das Wort sein dürfte, dass diese letzte Dynamo-Saison wohl am treffendsten beschreibt. Aber nächstes Jahr geht’s wieder hoch und dann wird neu angegriffen.

In 51 Tagen startet die Europameisterschaft. Mit welchen Erwartungen startest Du, startet ihr in das Turnier?

Zunächst einmal freue ich mich riesig auf das Turnier und dann auch noch im eigenen Land. Eine Heim-Europameisterschaft erlebt man schließlich nicht all zu oft oft. Deswegen herrscht schon eine große Vorfreude und ich hoffe, dass wir viel Euphorie entfachen können, die uns gemeinsam mit den Fans lange durch den Wettbewerb trägt. Natürlich hängt es davon ab, dass wir eine gute Truppe zusammenbekommen, sich das Team schnell findet und wir uns als Einheit präsentieren. Die Leistungen des letzte Sommers müssen der Gradmesser sein. Wie weit es am Ende gehen kann ist schwer vorherzusagen. Um eine Medaille gewinnen zu können wird es auf viele Faktoren ankommen. Du brauchst in einem Turnier immer ein bisschen Spielglück, gutes Timing und musst auf den Punkt deine besten Leistungen abrufen können. In diesen Wochen kann so viel passieren. Insofern glaube ich, dass wir einen weiten Weg zu gehen haben, jedoch alles daran setzen werden, um etwas Zählbares mitzunehmen.

Gordon Herbert ist seit September 2021 Nationaltrainer der DBB-Herren. Du hast mit „Gordie“ ja bereits eine gemeinsame Geschichte bei den Skyliners. Hat es das für dich ein wenig einfacher gemacht?

Gordie ist ein Coach, der sehr klare Vorstellungen davon hat, wie er Dinge umsetzen und strukturieren will. Daran hat sich, wie schon in Frankfurt, auch jetzt bei der Nationalmannschaft nichts geändert. Deshalb ist es natürlich ein Vorteil, wenn du weißt, was auf dich zukommt. Er fordert viel von dir, sowohl sportlich als auch im Kopf und verlangt immer hundertprozentigen Einsatz. Da wir uns bereits aus Frankfurter Zeiten kennen, helfen diese Erfahrungen vor allem auch dabei, andere Spieler darauf vorzubereiten, die noch nicht so viel Umgang mit ihm hatten.

Im Duell gegen Slowenien wird es für dich ein Wiedersehen mit Luka Doncic geben. Du hast zuletzt mit Baskonia im ACB-Finale 2018 gegen ihn und Real Madrid gespielt. Wirkt so etwas nach bzw. gibt es da so eine Art offene Rechnung?

Zunächst falsch. Unser letztes direktes Aufeinandertreffen war das Duell im Olympia-Viertelfinale gegen Slowenien (70:94 Anm.), aber um deine Frage zu beantworten: Nein, man denkt nicht über offene Rechnungen nach. Wenn du gegen jeden Spieler Revanche-Gedanken verschwenden würdest, der dich mal geschlagen hat, hättest Du viel zu tun. Unabhängig davon ist Luka Doncic sicher einer der besten Spieler und allein daraus zieht man schon etwas Extra-Motivation. Er ist einfach unglaublich gut, spielt auf einem so unfassbar hohen Niveau, dass es eine große Herausforderung sein wird, um ihn mit seinem Team zu schlagen. Er war ja damals im ACB-Finale gegen Real Madrid schon enorm weit, hat mit 18 Jahren gegen uns die Meisterschaft entschieden, konnte im selben Jahr die Euroleague gewinnen und ist EL-MVP geworden. Gegen solche Jungs willst du spielen und gleichzeitig nicht spielen. Du möchtest dich auf diesem Niveau mit den besten Spielern der Welt messen und willst sie schlagen, völlig unabhängig vom Namen. Für uns geht es sowohl in der WM-Qualifikation als auch in der EM gegen Slowenien. Da dreht sich letztendlich alles nur darum, mit der Sirene mindestens einen Punkt mehr zu haben als der Gegner.

 

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