Am Rande der Bande mit Jenas 'Beardman' Julius Wolf
Er gehört praktisch schon zum Inventar von Science City Jena, lächelt immer wieder großflächig auf Sachsenquelle-Plakaten oder von Köstritzer-Anzeigen. Julius Wolf befindet sich in seiner siebten Saison bei den Thüringer Bundesliga-Riesen. Nach dem Duell gegen die Niners Chemnitz nahm sich der 2,03m große Beardman Zeit für ein Interview am Rande der Bande, dass wir mit leichter Verspätung präsentieren. Julius, wie lang bohrt bei Dir so ein letztes Viertel wie gegen Chemnitz im Hinterkopf. Wie lang dauert es für Dich um so einen Spielverlauf zu verarbeiten? Im Endeffekt versuche ich, solche Phasen ziemlich schnell zu verarbeiten, die Erfahrungen mitzunehmen und den Fokus anschließend wieder auf die positiven Dinge zu lenken. Natürlich setze ich mich da primär mit meiner eigenen Leistung auseinander. Auch wenn der Schluss gegen die Niners schon ziemlich schmerzhaft war, haben wir über drei Viertel gegen einen sehr starken Tabellenführer ziemlich gut performt, dabei über weite Teile eben auch ohne unseren einzigen etatmäßigen Aufbauspieler gespielt. Brad ist immerhin einer unserer Schlüsselspieler. Das soll jetzt nicht nach Ausrede klingen, darf aber auch nicht unterschlagen werden. Wie kann man sich selbst derartige Aussetzer erklären? Ich denke, dass es in erster Linie die Ballverluste sind und eher seltener die Stärke des Gegners, die uns den Rhythmus kosten. Wir erlauben uns im Schnitt mehr als 15 Turnover pro Partie, verkrampfen in solchen Phasen dann von Minute zu Minute mehr. Da spielt vor allem der Kopf eine große Rolle. Natürlich arbeiten wir intensiv im Training daran, Fehler zu vermeiden, verlieren dann aber während der Spiele die Geduld. Sobald wir diese Statistik besser in den Griff bekommen, werden solche Phasen abnehmen. Der Blowout gegen Leverkusen, ein etwas knapperer Heimsieg gegen Tübingen, dann die Wäsche in Trier, der Heimsieg gegen die Dragons, der Split gegen Nürnberg und drei starke Viertel gegen Chemnitz. Wie erklären sich solche sportlichen Achterbahnfahrten? Das ist eine gute Frage und nur schwer zu beantworten. Wir haben bis jetzt gegen die Topteams nicht so gut ausgesehen, dafür gegen die vermeintlich „Kleinen“ unsere Siege geholt. Wobei man das in dieser Liga letztendlich ja auch relativieren muss. Nur nach den Tabellenplatzierungen zu gehen, kann dich schnell auf dem falschen Fuß erwischen. Da musst du ja nur einmal pro Spieltag auf die Ergebnisse schauen. Mindestens einen – außer Chemnitz – erwischt es fast immer. Die Liga, die Clubs, die Kader haben sich im Vergleich zu 2016 schon ziemlich stark entwickelt und mittlerweile ein vergleichsweise hohes Level erreicht. Bei einigen Teams reicht schon ein individuell starker Leistungsträger. Da müssen Mannschaften in Summe nicht sonderlich gut spielen, sondern es genügen ein oder zwei Spieler, die über Schnitt performen, um den vermeintlichen Favoriten stolpern zu lassen. Du hast schon einige Jahre in der ProA auf dem Buckel. Hat Dich die Balance der Liga überrascht? Irgendwie war mir schon vor dem Spieljahr klar, dass es in der aktuellen ProA-Saison nur wenige Ausreißer geben wird. Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut und sieht, das es früher immer ein oder zwei Teams waren, die in der Tabelle dominiert haben, weil das Ziel BBL im Fokus stand, so hat sich das Bild mittlerweile doch stark gewandelt. Wir haben aktuell sechs, sieben Vereine, die sowohl sportlich als auch mit Blick auf die Strukturen um den Aufstieg mitspielen, mitspielen können. Da sind selbst Rostock als Tabellenzwölfter oder Nürnberg nach dem Punktabzug als Zehnter noch lang nicht weg vom Fenster. In Heidelberg entsteht eine neue Arena, Nürnberg will eine Halle bauen, auch Hagen schielt wieder nach oben, die Seawolves haben große Ziele und Ex-Bundestrainer Dirk Bauermann ganz sicher nicht für das Zweitliga-Mittelfeld verpflichtet. Gibt es Gegenspieler, mit denen Du regelmäßig telefonierst oder mit ihnen triffst? Na klar. Fast täglich stehe ich mit meinem Bruder Enosch in Tübingen und Stephan Haukohl in Nürnberg im Kontakt. Häufig quatsche ich auch mit Sid (Marlon-Theis) in Bremerhaven, Paul (Albrecht) von den Artland Dragons, Roland (Nyama) von den Tigers oder Malte (Ziegenhagen), dem ich nach seinem „23-Punkte-Geburtstag“ mit den Niners bei uns gratuliert hab. Paul Zipser von Bayern München darf ich auf keinen Fall vergessen, aber der spielt ja in der BBL. Wenn wir demnächst zu Hause gegen Rostock spielen, werde ich am Abend vorher sicher mal auf einen Abstecher ins Hotel fahren und mich mit Kalidou (Diouf) und Mauricio (Marin) treffen. Science City Jena steht auf dem 3. Platz. Was erwartest Du bis zum Ende der regulären Saison? Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in den kommenden Wochen bis zu den Playoffs kontinuierlich steigern werden. Unsere Mannschaft ist ja im Sommer überwiegend neu zusammengewürfelt worden und das ein Findungsprozess nicht nach der Hinrunde abgeschlossen ist, war absehbar. Auch wenn es hin und wieder ein paar Rückschläge geben sollte, glaube ich an das Potential der Mannschaft. Wir haben keinen „Bad Guy“ im Kader, verfügen über individuelle Klasse, die Chemie untereinander stimmt und auch was die Ausdauer betrifft, bewegen wir uns auf einen sehr hohen Niveau. Diese Komponenten werden die Basis für ein erfolgreiches Abschneiden bilden. Wenn wir jetzt noch die Anzahl unserer Turnover minimieren können, wird es für jeden Konkurrenten schwer, uns in einer Playoff-Serie dreimal zu schlagen. Letztendlich ist eine Saison von September bis Mai kein Sprint sondern ein Marathon.