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Christian Dürselen im Interview: „Statistiker verfolgen den Fluss des Ballbesitzes“

Einst Dauerkarteninhaber, dann Scouter, Scouting-Koordinator und heute außerdem Verantwortlicher für die Software und Hardware rund um das Kampfgericht. Christian Dürselen ist seit 2011 ein unverzichtbarer Teil unserer Baskets-Jena-Familie. Im Ehrenamt unterstützt er Woche für Woche von der JBBL bis zur ProA. Wir wollten wissen: Wie wird man Scout? Wie anstrengend ist es, hochkonzentriert das Spielgeschehen zu erfassen? Was macht Christian außerhalb des Basketballs? Und warum programmiert er die benötigte Software am liebsten selbst? Diese und weitere Fragen beantwortet Euch Christian in Teil 1 und 2 unseres Interviews. Heute: Teil 1. 

 

Seit wann begeisterst Du Dich für Basketball?

 

Das begann im Sportunterricht, da war Basketball der Sport, der mir am meisten Spaß gemacht hat. Regelmäßig zum Basketball gegangen bin ich, als ich gerade mein Abitur gemacht habe, wir noch "POM baskets Jena“ hießen und im Zelt in Jena Ost spielten. Mein bester Freund und seine ganze Familie waren große Basketball-Fans. Ich war dann viele Jahre lang Dauerkarteninhaber, auch mit dem Umzug nach Lobeda-West und in die Sparkassen-Arena.

 

Wie bist Du zum Scouting gekommen?

 

Um das Jahr 2011 hatte ich über gemeinsame Poker-Abende im Freundeskreis die Bekanntschaft mit dem damaligen Scouting-Koordinator Matthias Rudolph gemacht. Er ermutigte mich, das Scouting mal auszuprobieren und so durfte ich am 30. August 2011 das erste Mal als (noch sehr unerfahrener) Scouting-Ansager aktiv sein. An diesem Tag fand in der Messehalle Erfurt die „2. Original Oettinger Basketball Nacht“ statt. Es gab an dem Abend zwei Basketballspiele: einmal das Thüringen-Derby mit den Oettinger Rockets Gotha gegen Science City Jena. Anschließend spielten die Brose Baskets Bamberg gegen die japanische Nationalmannschaft. Das waren hochkarätige Spiele, ich hatte Spaß und war von da an ein festes Mitglied im Scouting-Team.

 

Worum geht es beim Scouting?

 

Der Begriff ist ein bisschen verwirrend, denn wir sind nicht für das „Scouting“ von neuen Spielern verantwortlich, was immer erst einmal assoziiert wird. Im FIBA-Jargon heißt es korrekter: „Statistician“, also die Statistik-Erfassung. Philosophisch gesehen verfolgen wir als Statistiker den Fluss des Ballbesitzes, der sich durch Würfe der jeweiligen Teams und Ballverluste abwechselt.

 

Wir notieren während des Spiels u. a. Punkte, Fouls, Ballverluste, Blocks und einiges mehr. Das gilt es im Verein für die ProA, die NBBL und JBBL sowie Culture City Weimar, also die erste Regionalliga Herren, umzusetzen.

 

Was passiert dann mit den erfassten Daten?

 

Die primären Abnehmer sind die Trainer und Coaching Staffs, die mit dem obligatorischen Boxscore-Ausdruck nach jedem Viertel über Spielzeiten und alle weiteren statistischen Werte informiert werden, welche sie dann in ihr Coaching einfließen lassen können.

 

Neben der Ergebnis- und Statistikmeldung an die Liga nach dem Spiel wird in der ProA auch der Liveticker sowie eine interne Webseite für die Livestream-Moderatoren mit den Daten gespeist.

 

Inzwischen machst Du deutlich mehr als das reine Scouting.

 

Genau, vor ungefähr zwei Jahren habe ich von Jakob Waldhäusl die Rolle des Scouting-Koordinators übernommen. Zu den Kernaufgaben gehört primär die Personaleinsatzplanung, also alle Heimspiele der vier Scouting-Ligen im Blick zu behalten und aus dem Team die notwendigen Positionen zu besetzen.

 

Mit der Zeit ist es dann stetig mehr geworden. Anfangs habe ich mich zusätzlich um die Scouting-Hard- und Software gekümmert. Dann kamen die Anzeigetafeln in den vier Spielstätten dazu und seit 2022 habe ich mich dem Thema LED- und Werbe-Anzeigen angenommen. Zukünftig wird das Thema Software und Digitalisierung dann noch mehr Relevanz bekommen.

 

Wie sieht so ein typischer Heimspieltag für Dich aus?

 

Wenn am Samstag das Heimspiel ist, dann erfolgt spätestens eins, zwei Tage vorher der Aufbau des Kampfgerichts bzw. der Banden durch die Angestellten der Sparkassen-Arena und Ingbert Schönberg. Anschließend bauen wir unsere Technik am Kampfgericht auf, verkabeln alles und testen, ob es funktioniert. Sollte es Schwierigkeiten geben, kann man dann noch ohne Stress Lösungen finden.

 

Bei den Heimspielen der ProA bin ich 90 bis 120 Minuten vor Tip-off in der Halle, gehe nochmal die Checklisten durch und überprüfe, ob wirklich alles funktioniert. Dann gibt es Wartezeit, ehe die Lineups und Starting Five feststehen. Falls ein neu verpflichteter Spieler dabei ist, der im Datensatz der Liga noch nicht hinterlegt ist, wie es bei Seth Allen der Fall war, muss man in die Kommunikation mit der Liga gehen und Lösungen finden.

 

Während des Spiels bist Du mit dem Scouting beschäftigt, worauf wir gleich noch eingehen. Wie viel Aufwand hast Du dann nach dem Spiel?

 

Nach dem Spiel gibt es eine Ergebniskontrolle, bei der wir unsere digitalen Scouting-Daten mit dem Anschreibebogen als offiziell geltendes Ergebnis vergleichen. Ist alles okay, schließen wir die Daten ab und schicken sie zur Liga. Wenn die Liga zurückmeldet, dass alles so passt, beginnt der Abbau der Technik. Je nachdem, wie intensiv die Diskussionen über das gesehene Spiel sind, geht der Abbau relativ zügig. Da sind wir auch bestrebt darin alles so weit zu vereinfachen, dass man das Equipment schnell in die Kisten bekommt und gut im Lager verstauen kann. Wenn mal drei Heimspiele am Stück sind, ist es schön, weil die ganze Technik stehen bleiben kann. Man muss gefühlt nur den PC runterfahren und drei Tage später wieder hochfahren.

 

Wann hast Du zum letzten Mal ein Heimspiel verpasst?

 

In der ProA könnte es schon ein paar Jahre her sein. Sicher weiß ich, dass ich 2014 während unserer Playoffs in den USA war und mir im Hotel in New Orleans mit Zeitverschiebung den Livestream angeschaut hatte. Wobei ich in der Corona-Zeit ein Spiel verpasst haben könnte. Diese Saison war ich Anfang September nochmal in den USA. Zu dieser Zeit war ein Vorbereitungsspiel im meTecno court, wo das Scouting auch sehr gut ohne mich funktioniert hat.

 

Bei den Vorbereitungsspielen gibt es auch ein professionelles Scouting?

 

Ja, bei den ProA-Vorbereitungsspielen, damit die Trainer die relevanten statistischen Informationen herausziehen können. Daher ist das Scouting auch schon sehr früh in der Saison involviert. Das sind dann teilweise nicht öffentliche Spiele, die man als Scouter aber trotzdem aus nächster Nähe mitverfolgen darf.

 

Bei solchen Spielen muss dann Stillschweigen vereinbart werden?

 

Ja, zumindest außerhalb der Gruppe, die Presse bekommt nichts mit. Man ist so ein bisschen Insider.

 

Hast Du beim Heimspiel auch Austausch mit den Kommissaren und den Schiedsrichtern?

 

Austausch gibt es, wenn die Zeit korrigiert werden muss. Das machen wir am Anzeige-Notebook, weil die Information dort originär gehalten wird. Gerade vor dem Spiel gibt es den Austausch mit dem Kommissar, ob alle Signaltöne funktionieren und ob das Scouting läuft. Mittlerweile wissen die Kommissare jedoch, dass es da bei uns keinerlei Probleme gibt und sie den Haken auf der Check-Liste schon bei der Anreise setzen könnten. Mit den Schiedsrichtern haben wir ehrlicherweise weniger Austausch. Da ist es nur der Handschlag, der vor und nach dem Spiel erfolgt.

 

Wie viele Personen sind am Kampfgericht involviert bei einem Spiel?

 

Für das Scouting selber sind es zwei Personen, die mindestens gebraucht werden. Es braucht einen Eingeber und einen Ansager. Wenn man notgedrungen mal beides machen muss, ist das dann ein „Angeber“ (schmunzeln). Das ist alleine das Scouting, also die Statistikerfassung für den Liveticker der Liga und den Boxscore-Ausdruck, der den Trainern nach jedem Viertel bereitgestellt wird.

 

Dann haben wir bei uns noch eine dritte Position für die Eingabe für die Anzeige, deren Daten separat gepflegt werden. Perspektivisch mit etwas Software-Entwicklung möchte ich dies kombinieren, sodass die Scouting-Informationen direkt angezeigt werden und die fehleranfällige doppelte Buchführung entfällt.

 

Natürlich haben wir immer noch das offizielle Kampfgericht, das von Jennifer Müller organisiert wird. Hier sind immer vier Personen notwendig bei einem ProA-Spiel: Anschreiber, Anschreiber-Assistent, Zeitnehmer und 24 Sekunden-Zeitnehmer. Und der Kommissar.

 

Der Kommissar sitzt also mit bei Euch am Tisch?

 

Genau. Wir haben Platz für acht Leute. Das ist so, was die Liga ungefähr vorsieht. Vielleicht sind es mal nur sieben Leute, wenn das Scouting die Daten für die Anzeige mitliefert. Das ist aber noch nicht umgesetzt.

 

Welche Voraussetzungen sollte man erfüllen, um als Scouter aktiv zu sein?

 

Ein Mindestalter gibt es nicht. Man sollte eine gute Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit und eine Affinität für den Basketball mitbringen. Niemand wird ins kalte Wasser geworfen, sondern man ist zunächst ein paar Mal bei den Spielen der JBBL und NBBL dabei. Dort kann man auch während des Spiels besser Sachen zeigen und erklären. Mit der Zeit bekommt man dann ein Gefühl dafür, wie man die Informationen, die relevant für die Statistikerfassung sind, so ansagt, damit sie gut in der Eingabemaske erfasst werden können. Dafür braucht es ein bisschen Routine und wir versuchen uns als Team darin weiter zu verbessern, sodass es weniger Missverständnisse gibt.

 

Die Wahrnehmung des Spiels als Scouter ist etwas ganz Besonderes, weil man das Spiel unter einem ganz anderen Blickwinkel erlebt. Um den Assist vermerken zu können muss man sich merken: wer hat da nochmal den Pass gegeben? Man muss konzentriert schauen: wer hat den Ballverlust verursacht? Das Scouting erfordert mehr Konzentration, als wenn ich als Zuschauer doch mal nebenbei ein Gespräch führe, mit den Gedanken abschweife und nicht jede Sekunde am Spiel teilhaben muss.

 

An wen sind die Handzeichen der Schiedsrichter adressiert?

 

Diese sind eigentlich für das offizielle Kampfgericht um Anschreiber und Kommissar gemeint. Allerdings sind wir Nebenleute diejenigen, die mitunter noch mehr dieser Informationen interpretieren und protokollieren müssen.

 

Die Handzeichen für die Nummer eines foulenden Spielers ist zum Beispiel für alle interessant. Also Spielberichtsbogen, Scouting als auch Anzeige. Die Handzeichen für einen Ballverlust dagegen, ob es also Schrittfehler, Ballbehandlung oder ein Fuß auf der Linie war, sind nur für uns Scouter relevant, da es die zu wählende Turnover-Art bestimmt.

 

Kann man ein Spiel überhaupt genießen, wenn man so hochkonzentriert schauen muss, ob nun Spieler 14 oder 24 den Pass gespielt hat?

 

In der Anfangszeit, wenn man mit dem Scouting anfängt, ist es schon so, dass man ein gewisses Lampenfieber hat, eine gewisse Unruhe. Jetzt nach mehr als zehn Jahren ist es eher Routine. Da kann man trotzdem mal einen Witz reißen oder sich austauschen, es ist ja eine Teamaufgabe und man ist selbst im Jugendbereich mindestens zu zweit. Mit der Routine kommt dann auch die Lockerheit zurück.

 

Trotzdem gibt es je nach Spiel, Gegner oder Liga auch selbst für mich mal stressigere Tage. Ein schnelles JBBL-Spiel kann viel Klickarbeit an der Maus bedeuten. Genauso, wenn Trainer sehr viele Spielerwechsel vornehmen, man diese verpasst und dann kurzfristig während des laufenden Spiels die Lineups abgeglichen werden müssen.

 

Gibt es weitere Umstände beim Scouting, die Euch die Arbeit teilweise erschweren?

 

Je schneller sich Aktionen abwechseln, desto anspruchsvoller wird es. Herausfordernd ist es auch, wenn die gleiche Rückennummer von beiden Mannschaften auf dem Feld steht. Da muss man sich noch mehr konzentrieren, um zum Beispiel nicht einen Rebound falsch zuzuordnen.

 

Besonders schwierig war es 2018, als ich bei der U20-EM in Chemnitz mitgeholfen hatte und zwei Mannschaften spielten, die man nicht so routiniert kennt. Wenn ich sage in Jena „Nr. 33“, dann weiß man aus der Routine, dass Brandon Thomas gemeint ist. Bei zwei Mannschaften, die man gar nicht kennt, muss man teilweise ein zusätzliches Unterscheidungskriterium wie z. B. die Trikotfarbe finden, um es sich selbst einfacher zu machen.

 

Hat es im Scouting Vorteile, wenn man schon einmal Basketball gespielt hat?

 

Für das Scouting selber ist es schon sehr sinnvoll, ein Verständnis für das Spiel mitzubringen. Ich selbst habe außerhalb des Hochschulsports aber nie im Verein gespielt. Sobald man ein Grundverständnis hat, kann man das meiste gut beigebracht bekommen oder sich selbst beibringen. Dazu gibt es viele Weiterbildungsmöglichkeiten von der Liga, vom DBB auch. Wenn also jemand in unser Scouting-Team mit reinkommen will, muss man nicht ein totaler Basketball-Crack sein.

 

Wie viele Personen sind im Jenaer Scouting-Pool?

 

Aktuell sind wir sechs, sieben Leute die schauen, wie sie zu den Terminen während der Saison Zeit haben. Das sind Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, große Gemeinsamkeit ist die Leidenschaft für den Basketball. Eine optimale Teamgröße wäre so ab zehn Personen, um sicher zu sein, dass immer jemand Zeit hat und niemand mehr spontan einspringen muss, wie es aktuell teilweise ist. Wir freuen uns also über Unterstützung.

 

Wenn jemand Interesse hat als Scouter dabei zu sein, wo muss er oder sie sich melden?

 

Es handelt sich um ein verantwortungsvolles Ehrenamt. Wer sich das zutraut und zugleich einen der besten Plätze innerhalb der Halle einnehmen möchte, kann sich gern unter der Mailadresse scouting@baskets-jena.de bei mir melden. Zum Spiel gibt es auch immer eine kleine Aufwandsentschädigung.

 

Gern kann man uns nach Spielende auch persönlich ansprechen, selbst wenn es nur das Interesse an einem ausgedruckten Boxscore vom Spiel ist. Das macht uns immer glücklich, wenn nicht nur Trainer und Liga, sondern auch Zuschauer ein Interesse an den erfassten Daten und damit unserer Tätigkeit als Scouter haben.

 

 

 

 

 

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