Skip to main content

Arena-Sprecher Martin Hetzsch im Interview: „Ein gewisses Maß Anspannung ist sehr wichtig“

Seit mittlerweile stolzen 15 Jahren leiht Hallensprecher Martin Hertzsch Jenas Basketballern am Spielfeldrand nun schon Stimme, Herz und eine große Portion Enthusiasmus. Lampenfieber? Fehlanzeige! Man gebe ihm ein Mikrofon, eine Bühne und möglichst viel Publikum – heraus kommt eine stimmungsvolle Atmosphäre, die schon so manchen Heimspiel-Rückstand umbiegen konnte. Doch wie wurde Martin Hallensprecher? Ist er noch manchmal aufgeregt? Und worauf gilt es als Hallensprecher besonders zu achten? Diese und viele weitere Fragen wurden im Rahmen des digitalen Adventskalenders 2022 von Euch eingereicht und durch Martin beantwortet.

 

Wie bist Du eigentlich Hallensprecher geworden?

 

Das war zu den Zeiten, als der FC Carl Zeiss Jena zwischen 2006 bis 2008 noch in der 2. Fußball Bundesliga gespielt hat. Die EAB, heute die EAG, hat im Ernst-Abbe-Sportfeld eine Videowand hingestellt. Die Vereinbarung lautete: „Mit Content“. Ich war damals bei einer Film-Firma und habe das sogenannte Heimspiel-TV erfunden, also so eine Art Mini-Magazin. Dadurch bin ich Stadionsprecher geworden. Als der FCC abgestiegen ist kamen die Basketballer – damals noch im POM-Zelt - auf mich zu und haben gefragt, ob ich Hallensprecher beim Basketball werden will.

 

Was war Deine erste Reaktion?

 

Ich dachte mir: „Auf keinen Fall, so was mache ich nicht.“ Ich kannte damals Basketball nur aus dem Fernsehen. Das war für mich ein einfaches Hin und Her. Dann hieß es: „Du kriegst eine Karte, schau es Dir mal an und nach dem Spiel sagst Du mir Bescheid.“ Ich saß also da, es war Tip Off und nach 20 Minuten Spielzeit bin ich von der Tribüne runter gerannt und habe gesagt: „Das ist meine Bühne, gebt mir das Mikro“. Ab dem nächsten Spiel war ich Hallensprecher. Es war ein fließender Übergang vom Fußball hin zum Basketball. Ich habe in den 14 Jahren das POM-Zelt, die Werner Seelenbinder Halle und die Sparkassen-Arena erlebt.

 

Wie groß war die Umstellung für Dich vom Fußball zu Basketball?

 

Es war eine entsetzliche Umstellung. Ich habe locker ein Jahr gebraucht, bis ich einigermaßen die wichtigsten Regularien und Handzeichen verstanden habe. Was passiert da überhaupt gerade und warum pfeift der Schiedsrichter? Es war anfangs ganz schwierig. Mittlerweile weiß ich, worum es geht. Ich muss ja drei Augen haben: Was passiert auf dem Spielfeld? Was passiert auf den Rängen? Und dann brauche ich das Auge nach vorn um zu wissen: was passiert in den nächsten Minuten, was kann ich machen?

 

Wo moderierst Du lieber: beim Basketball oder beim Fußball?

 

Ganz klar beim Basketball. Der große Unterschied ist, dass Du beim Fußball – dank der Bestimmungen des jeweiligen Fußballverbandes – ein Ansager bist. Das heißt Du hast Dich komplett neutral zu verhalten, Du hast nur anzusagen und darfst sehr wenig motivieren. Hier beim Basketball kannst Du, solange es um die eigene Mannschaft geht, wirklich Ballett machen. Ich bin ein Frontmensch und ich liebe das. Das muss man aber auch so sein in diesem Job.

 

Davon abgesehen ist Basketball die viel schönere Sportart. Alles ist schneller, es passiert mehr. Du weißt drei Sekunden vor Ende des Spiels manchmal nicht, wer gewinnt. Du hast ein viel schöneres Miteinander. Und - auch ganz wichtig - Du hast diese zu 99% friedliche Stimmung zwischen allen. Du hast manchmal ein paar Ausnahmen, natürlich, aber ansonsten erfreuen sich die Gäste und wir gemeinsam an der Sportart, fast wie eine große Familie. Das macht mich total glücklich.

 

Du hast gerade die Regularien angesprochen. Wie umfangreich sind sie für Dich?

 

Kein Mensch erahnt, was es da für Vorgaben gibt. Allein der Hallensprecher hat sechs Seiten, an die er sich halten muss. Das ist unfassbar. Das geht in der ProA noch, in der BBL musst Du auf die Sekunde genau überlegen, was Du sagst. Das ist eine der Schwierigkeiten überhaupt. Die Leute wundern sich teilweise, warum ich einen Satz mittendrin abbreche.

 

Nur bis zur Mittellinie darf ich etwas sagen. Sobald die angreifende Mannschaft mit dem Ball über der Mittellinie ist, gilt es still zu sein. Dann musst Du Dir binnen Millisekunden einen Satz einfallen lassen und im Hinterkopf behalten, wie lang braucht der Spieler jetzt, bis er über die Mittellinie kommt?

 

Könnte es da notfalls Strafen geben?

 

Ja, es gab auch schon Strafen. Ich bin auch einer der wenigen Hallensprecher, die ein technisches Foul bekommen haben. Da war ich mir mit dem Schiedsrichter nicht einig gewesen.

 

Wie aufgeregt bist Du vor Spielen? Hast Du manchmal Lampenfieber?

 

Ehrlich gesagt: gar nicht mehr. Das reine Spielgeschehen und das Drumherum – das ist nach 14 Jahren ganz normal für mich. Aber witzigerweise bin ich sofort aufgeregt, wenn im Spiel irgendwelche Besonderheiten passieren. Wenn das Spiel zu kippen droht, wenn wir zusehen müssen, noch nach vorne zu kommen. Oder wenn es ein besonderes Highlight in den Pausen gibt. Wenn Freddy in einem Moment benötigt wird und nicht da ist. Da kommt die Aufregung wieder hoch und das ist auch gut so. Immer wenn Du improvisieren musst oder etwas Außerplanmäßiges passiert, dann wird es aufregend.

 

Wie lang hattest Du Lampenfieber?

 

Mindestens die ersten fünf Jahre. Irgendwann hat es dann nachgelassen. Losgelöst vom Lampenfieber finde ich aber eine gewisse Anspannung für einen Frontmann sehr wichtig. Die darf nicht fehlen, deswegen hole ich sie mir immer irgendwie. Ich habe ein eigenes Ritual: zwei Stunden vor dem Spiel fahre ich mich ganz weit runter. Und dann fange ich an und ziehe mich von ganz unten bis ganz nach oben. Nach dem Spiel benötige ich locker eine halbe, dreiviertel Stunde, bis ich mein Adrenalin verschossen habe.

 

Wie ist es bei den Playoffs?

 

Playoffs sind immer spannend. Man muss aber unterscheiden zwischen spannend und aufgeregt sein. Was ich nie verloren habe ich das Herz und die Anspannung im Sinne des Spiels selber, dass wir gewinnen. Da bin ich nach wie vor mit Herz und Seele dabei. Die Tätigkeit selbst ist aber Routine.

 

Wie war es für Dich als Hallensprecher während Corona, als es teilweise gar keine Zuschauer in der Arena gab?

 

Das waren verrückte Zeiten, ich habe da Schizophrenie kennengelernt. Wir wollten erreichen, dass die Spieler zumindest das Gefühl hatten, dass es ein Event ist. Also waren der DJ und ich vor Ort. Wir haben uns so verhalten, als wenn es Besucher in der Halle gäbe. Und dann habe ich mehr oder weniger leere Wände anmoderiert. Das war schon Wahnsinn.

 

Wie bereitest Du Dich auf ein Spiel vor?

 

Ich gucke mir die Teams und die Spieler an, auch auf Fotos, damit ich einen groben Blick habe von den Namen und den Gesichtern. Ehrlicherweise vergesse ich das meiste schnell wieder. Außerdem besorge ich mir im Vorfeld Informationen, wenn zum Beispiel Sponsoren eine Aktion in der Pause durchführen. Durch die 14 Jahre hat man alles andere drin. Es sind Bausteine, die man immer wieder einsetzt.

 

Worin unterscheidet sich das Jenaer Publikum von dem anderer Basketball-Standorte?

 

In den meisten anderen Hallen gibt es ein Publikum, das in Vorleistung geht. Das heißt sie folgen der Devise: Wir unterstützen Euch, wir machen richtig Krach, und jetzt bietet uns was. Bei uns in Jena ist es meist andersherum. Das Jenaer Publikum macht häufig erst dann großartige Stimmung, wenn die Mannschaft etwas bietet. Das ist eine meiner schwierigsten Aufgaben. Ich gebe mein Bestes dafür, sodass die Zuschauer in Vorleistung gehen.

 

Gab es mal eine positive oder negative Rückmeldung von der Jenaer Mannschaft oder vom Gästeteam auf Deine Tätigkeit?

 

Verrückterweise: die meisten positiven Rückmeldungen kamen von Gästen, also wenn es um Rückmeldungen der Mannschaften geht. Ich habe tatsächlich in den 14 Jahren sehr selten erlebt, dass das Team kam, schon eher kommt von unserem Staff eine Rückmeldung.

 

Welche Vergünstigungen bekommst Du als Hallensprecher (außer den vielen Groupies)?

 

Ich arbeite auf Honorarbasis und muss weder hungrig noch durstig nach Hause gehen.

 

Hast Du Dir schon einmal andere Hallensprecher angeschaut bzw. angehört?

 

Natürlich - es gibt eine Menge guter Hallensprecher. Mein absolutes Highlight ist Tom Böttcher von Alba Berlin. Der hat mich damals richtig geflasht.

 

Das war auch eine Inspiration für Dich?

 

Natürlich. Ich schaffe es zeitlich leider selten, bei anderen Hallensprechern vorbeizuschauen. Wo ich immer drauf achte ist im Livestream, da höre ich es mir genau an. Und ich habe auch schon einiges von anderen Sprechern übernommen.

 

Gibt es Austausch mit anderen Hallensprechern?

 

So gut wie nicht.

 

Würdest Du Dir zutrauen, ein NBA-Spiel mit 20.000 Zuschauern zu moderieren?

 

Gib mir drei Hallen mit 50.000 – sofort. Ich bin ein ganz schrecklicher Frontmann. Ja, das traue ich mir natürlich zu. Es gibt in diesem Leben viele Sachen, die ich nicht kann. Und es gibt ein paar Sachen, die ich kann. Gib mir ein Mikro – vollkommen unvorbereitet – ich kriege es hin.

 

Welcher unserer aktuellen Spieler hätte Deiner Meinung nach das größte Potenzial, auch als Hallensprecher zu fungieren?

 

Das ist eine geile Frage. Ich könnte es mir vorstellen bei Storm. Ich könnte mir tatsächlich auch Brandon vorstellen. Das ist echt schwer zu sagen. Ich würde Storm nehmen. Vom Typ her, so flippige Ansagen machen, das wäre sein Ding.

 

Wie kompliziert ist für Dich die Abstimmung mit dem DJ?

 

Benno, unser DJ, kam glaube ein Jahr vor Corona. Es läuft wunderbar, wir sind ein eingespieltes Team. Es gibt Stellen, wo ich was rede. Es gibt Stellen wo er was spielt. Im schlimmsten Fall, wenn ich etwas zu sagen habe, dann gebe ich ihm ein Signal und er weiß Bescheid.

 

Was macht für Dich einen guten Hallensprecher aus?

 

Du wirst als Hallensprecher immer nur die Hälfte bedienen können. Es gibt zwei Grundarten von Hallensprechern: Es gibt den, der sich auskennt. Das haben wir bei Torsten gesehen, der dadurch zu einer guten Unterhaltung beitragen kann.

Dann gibt es den Motivator, der sagt: ich bin der berufliche Kasper. Es ist immer die Frage: was brauchst Du für Dein Publikum? Bei einem Publikum wie Jena ist es so – deswegen bin ich wahrscheinlich auch so lange da und nie ausgewechselt worden – da brauchst Du den Motivator. Wir haben viele Experten auf der Tribüne. Mein Auftrag ist zuzusehen, dass die Halle tobt. Das braucht die Mannschaft, mehr nicht. Es kommt also ganz auf die Zuschauer an.

 

Welche Möglichkeiten hast Du, die Stimmung aufzuheizen? Welche Stilmittel gibt es?

 

Viele. Eine ist definitiv die Stimme. Du kannst mit der Stimme viel bewirken und die Leute mitnehmen. Das zweite sind das sogenannte „Einhaken“. Du merkst, die allgemeine Stimmung sackt etwas ab, und dann hakst Du ein und sagst: so Freunde, jetzt nehme ich Euch wieder mit. Das sieht man bei Betriebsversammlungen häufig, dass Moderatoren falsch einhaken. Die Stimmung ist am Boden und der Moderator ist übertrieben lustig. Wenn der Unterschied zu groß ist zwischen dem, was Du vorgibst, und der Stimmung, die im Raum vorherrscht, dann ist es schwierig.

Letztlich ist es auch eine Vorbild-Geschichte. Du musst dort unten hampeln, damit die anderen auch hampeln, Du musst rumspinnen, damit die anderen auch rumspinnen. Und als Hallensprecher sollte man auch nach außen vermittelt: trotz 20 Punkten Rückstand und noch 30 Sekunden Spielzeit kann man immer noch gewinnen.

 

Stimmt, wenn Du deprimiert an der Seitenlinie stehst, dann wird es schwierig.

 

Ganz genau. Eine der wichtigsten Eigenschaften und Aufträge für mich: ich verkaufe Freude. Ich verkaufe Motivation. Ich verkaufe Spannung. Das ist das, was mein Job ist. Da ist es egal wie es mir geht, wie ich auf das Spielgeschehen gucke oder ob mich etwas Privates beschäftigt.

 

Die letzten Heimspiele waren selten siegreich. Welchen Beitrag kannst Du und können die Fans aktuell leisten?

Wir befinden uns in einer schwierigen Situation. Meine Aufgabe wird es sein, gemeinsam mit all denjenigen, die den Weg in die Halle gefunden haben, dafür zu sorgen, dass die Mannschaft ordentlich Rückenwind bekommt.

 

Vor kurzem ist Torsten Rothämel für Dich eingesprungen, wie hast Du das – nachträglich – wahrgenommen?

 

Es war doppelt interessant und gut. Ich habe mir mal die andere Art des Hallensprechers angeguckt. Er hat es sehr gut gemacht. Er kam gut rein. Es ist sehr interessant zu sehen, wie er als Kommentator wirkt. Ich habe für mich auch einiges mitgenommen, definitiv.

 

Für welche Veranstaltungen kann man Dich buchen?

 

Von ganz leise bis ganz laut: ich habe schon alles gemacht. Betriebsversammlungen, kleinere Literaturveranstaltungen, aber auch riesig große Veranstaltungen. Vor Corona gab es viele mittelständische Unternehmen. Ein fester Kunde ist zum Beispiel „Sport & Stadt“.

 

Letzte Frage: warum wird der Fluss entzündet?

 

Ich habe niemals behauptet, dass der Fluss entzündet worden ist. Sondern: die Feuer brennen an der Saale, also daneben. Doch es gibt auch die Veranstaltung: „Die Saale brennt“. Das ist also nicht neu. Ich will damit einfach erreichen - und das ist auch der Sinn der Sache - dass das Feuer entfacht wird bei den Leuten. Und womit kann man es besser entfachen als mit dem Verweis auf die Region, für die es die Identifikation gibt?

 

Allerletzte Frage: Wen sollten wir unbedingt einmal interviewen?

 

Ich bin mir sicher, dass Christian Dürselen, der sich u.a. um die Technik rund um das Kampfgericht und die Anzeigentafeln kümmert, viel Spannendes zu erzählen hat.

 

 

 

Zurück